Reportage

Junge Leute sollen sich stetig weiterbilden

13.10.2021
von Samira Sina Mathiuet
Hand aufheben im Klassenzimmer

Eva Holzmann arbeitet seit über 10 Jahren als Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin im Laufbahnzentrum der Stadt Zürich. Im Interview spricht sie mit uns über Tellerwäscherkarrieren, die wichtigsten Schritte bei der Berufswahl und über die Frage «Lehre oder Studium?»

Was wird heute von Jungen in der Berufswelt erwartet?

Sie sollen Freude haben am Beruf den sie gewählt haben, sie sollen sich engagieren, und vor allem: Sie sollen sich nach einem ersten Berufs- oder Studienabschluss stetig weiterbilden, aus eigenem Antrieb ihre Laufbahn gestalten, damit sie auf dem sich rasch verändernden Arbeitsmarkt Erfolg haben und bestehen können.

Kennen Sie spannende Geschichten aus Begegnungen mit jungen Personen?

Auch in der Schweiz gibt es «Tellerwäscherkarrieren», die man in den Medien verfolgen kann – ein bekanntes Beispiel ist Marcel Ospel, der aus einfachen Verhältnissen stammend nach einer kaufmännischen Lehre CEO der UBS wurde. Andere Geschichten tönen weniger spektakulär, und kommen seltener gross in die Medien. Mich beeindruckt die Geschichte einer Frau, die als 14-jährige aus dem Kosovo-Krieg in die Schweiz kam, mit viel Einsatz eine Lehrstelle als Drucktechnologin fand, sich später weiterbildete und eine Berufsprüfung absolvierte. Jetzt ist sie 33 Jahre alt, hat eine eigene Druckerei übernommen und bildet selbst einen Lehrling aus – einen Mann aus Eritrea. Die junge Geschäftsführerin möchte nun als Ausbildnerin ihre Erfahrungen weitergeben und einem Migranten die berufliche Integration in der Schweiz ermöglichen. Gleichzeitig profitiert sie und ihr Geschäft von der Einsatzfreude und vom Talent des jungen Mannes. Die Geschichte zeigt unter anderem, dass sich die Integration von Flüchtlingen auch für die Gesellschaft als Ganzes lohnt.

Was ist wichtig bei der Berufswahl?

In der Sekundarschule werden die Jugendlichen in der Berufswahl durch die Lehrpersonen und durch die Berufsberatung begleitet. Es werden modellhaft fünf Schritte durchlaufen: 1. Sich selbst kennen lernen (was mach ich gerne, was kann ich gut?); 2. Die Berufswelt kennen lernen; 3. Sich selbst und die Berufswelt vergleichen; 4. Erkunden / Schnuppern / Entscheiden; 5. Realisieren / Umsetzen (z.B. Lehrstelle suchen, Aufnahmeprüfungen absolvieren). Diese Schritte können im Verlauf des Lebens immer wieder durchlaufen werden, auch wenn es um die berufliche Weiterentwicklung geht. Wichtig ist, sich auszutauschen mit anderen Menschen. Für Jugendliche ist die Unterstützung und Begleitung durch Eltern und enge Bezugspersonen wichtig, aber auch später kann die Aussensicht von nahestehenden Personen oder die professionelle Hilfe bei einer Berufsberatungsstelle weiterhelfen. Informationen zu Beruf und Ausbildung sowie Adressen von Beratungsstellen findet man auf www.berufsberatung.ch

Wie finden Sie während der Beratung heraus, welches Studium/ welcher Beruf zu einer jungen Person passt?

Zu jedem Menschen passen verschiedene Berufe und verschiedene Studienrichtungen. Es geht darum, die oben erwähnten Schritte zu tun und sich zu entscheiden. Ich kann einen jungen Menschen auf diesem Weg durch Beratung begleiten, Informationen vermitteln und unterstützen, ermutigen und Zuversicht geben – die Entscheidung abnehmen und die Schritte für ihn oder sie tun kann ich nicht. Interessen-, Leistungs- und Persönlichkeitstests können hilfreich sein, der Besuch von Informationsveranstaltungen, dann Berufserkundigungen / Schnupperlehren. Meine langjährige Berufserfahrung hilft mir dabei herauszuhören, wie gross die Begeisterung für ein Berufsfeld ist und auch abzuschätzen, ob ein angestrebtes Ziel realisierbar ist.

Was sind Ihre persönlichen Erwartungen an Teilnehmende vom Beratungsgespräch im Laufbahnzentrum?

Das ist eine schwierige Frage: Grundsätzlich versuche ich jedem Kunden, jeder Kundin offen und unvoreingenommen entgegenzutreten. Ein Beratungsgespräch nimmt in der Regel dann einen guten Ausgang (auch in den Augen des Kunden), wenn dieser die Verantwortung für seinen Weg und seinen Entscheid selbst übernimmt, und mich als Beraterin und Wegbegleiterin betrachtet. Es erleichtert mir die Arbeit, wenn die Ratsuchenden sich öffnen, etwas von sich preisgeben, und sich selbst auf den Weg machen, sich informieren und Erkundigungen einholen. Kunden und Kundinnen, die erwarten, dass das Umfeld oder die Beratungsperson die berufliche Laufbahn plant und die Entscheidungen abnimmt, haben eine schwierigere Ausgangslage und sind auch oft mit dem Resultat der Beratung weniger zufrieden. Manchmal ist ein längerer Prozess nötig, bis sich jemand traut Entscheidungen selbst zu fällen und seinen Weg selbst zu finden und zu gehen.

Was gefällt Ihnen an ihrem Beruf am besten? Was weniger?

Mir gefällt die Vielfalt der möglichen Tätigkeitsfelder, die mein Beruf bietet, und die grosse Selbständigkeit, mit der ich meine Arbeit ausüben kann. Im Moment begleite ich sämtliche SchülerInnen der 2. und 3. Sekundarklassen eines Stadtzürcher Schulhauses in Bezug auf die Berufswahl und Weiterbildung, ausserdem junge Flüchtlinge auf dem Weg in die Integrationsvorlehre, und Erwachsene im Auftrag der Sozialhilfe. In der Infothek führe ich Kurzberatungsgespräche vor Ort und am Telefon durch, oder ich checke die Bewerbungsunterlagen von KundInnen. Mein Beruf ermöglicht es mir, in Kontakt zu verschiedensten Menschen aus allen Bevölkerungsschichten zu treten, er erlaubt es mir, diese Menschen ein Stück weit zu begleiten, Zuversicht zu geben, und hin und wieder auch jemandem wichtige Schritte zu ermöglichen oder einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Zudem stehe ich in Kontakt mit der Arbeitswelt, mit Berufsverbänden, Arbeitgebern, anderen Institutionen. Dieses Spannungsfeld zwischen Arbeitsmarkt, Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung, Wünschen und Realisierbarkeit gefällt mir sehr. Mir gefällt an meinem Beruf auch, dass die mit dem Alter zunehmende Berufs- und Lebenserfahrung wertvoll ist – sie verhilft mir zu mehr Vertrauen ins Geschehen, in den Prozess des Lebens. Oft reicht es, wenn ich wohlwollend betrachte was geschieht, oder nur ein wenig korrigierend oder lenkend eingreife, ein paar Fachinformationen beisteure, damit etwas Gutes sich entwickeln kann. Was mir weniger gefällt? Vielleicht der rasche Wandel, der Druck respektive der Anspruch, immer auf dem neusten Stand der Entwicklungen (Digitalisierung, neue Berufe, Anforderungen des Arbeitsmarktes) sein zu sollen oder wollen. Da hilft es mir, etwas Abstand von diesen Ansprüchen zu nehmen – viel Wissen beispielsweise ist online abrufbar.

Lehre oder Studium und wieso?

Beide Wege haben Vor- und Nachteile, es geht darum, im Einzelfall den für sich passenden Weg herauszufinden. Wer sich für eine Lehre entscheidet, kann während der Lehre oder danach eine Berufsmittelschule oder ein Erwachsenengymnasium absolvieren und im Anschluss an die Erstausbildung ein Studium aufnehmen. Zudem gibt es andere Weiterbildungsmöglichkeiten nach einer beruflichen Grundbildung, im Bereich der Höheren Berufsbildung. Eine Lehre bietet den Vorteil, früh schon einen konkreten Beruf zu lernen und finanziell unabhängig von den Eltern auf eigenen Beinen zu stehen. Eine Mittelschule mit Studium bietet sicher mehr Freiheiten und die Möglichkeit, sich auch theoretisch in ein Thema zu vertiefen. Bei der Wahl eines Studiums ist man zudem während längerer Zeit mit Gleichaltrigen zusammen. Es gibt Berufswünsche oder Interessen, die sich nur über ein Studium verwirklichen lassen (z.B. Medizin, Philosophie), bei anderen Berufsinteressen kommt man auf beiden Wegen zum Ziel (z.B. Ingenieurin, Betriebswirtschaft). Bei handwerklichen Interessen kommt man oft nur über eine Berufslehre zum Ziel (z.B. Bootsbauerin, Koch).

Zur Person

Eva Holzmann arbeitet seit über 10 Jahren als Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin im Laufbahnzentrum der Stadt Zürich. Ursprünglich hat sie eine kaufmännische Lehre bei einer Bank absolviert, anschliessend an der KME die Matura nachgeholt, und später am IAP (heute ZHAW) Psychologie mit der Vertiefungsrichtung Berufsberatung studiert. Dazwischen hat sie als Dokumentalistin und Fachredaktorin gearbeitet, auf einer regionalen Berufsberatungsstelle und bei einer beruflichen Integrationsstelle der IV. BIZ oder Laufbahnzentren im Kanton Zürich findest du übrigens auch in Horgen, Meilen, Kloten, Oerlikon, Urdorf, Uster und Winterthur.

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf eduwo.ch erschienen.

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